Impressionen Gegenwelten

Einführungsrede zur Eröffnung von Ingrid Raschke-Stuwe

GEGENWELTEN, so lautet der Titel dieser Doppelausstellung mit dem Maler und Bildhauer Horst Gläsker aus Düsseldorf und dem Künstler Harald Fuchs aus Köln, dessen Schwerpunkt auf den Neuen Medien liegt, mit denen er raumgreifende Installationen schafft.
Welt? – Unterwelt? – darunter kann man sich etwas vorstellen, aber Gegenwelt? – Gegenwelten sogar? – Wie kommt man zu so einem Titel und was mag er bedeuten? Sicherlich kann man sagen, diese beiden Künstler sind so unterschiedlich, dass man ihre künstlerische Arbeit per se als künstlerische Gegenentwürfe zueinander, als Gegenwelten bezeichnen könnte.
Hier der ausufernde ungezügelte malerisch- künstlerische Geist, dort der wissenschaftlich prüfende, tiefschürfende, aber immer auch Distanz schaffende Blick. Doch das wäre sicherlich zu kurz gegriffen und nur ein Teilaspekt, denn beide schaffen auch künstlerische Gegenentwürfe zu unserer Welt, zu der allgemein bekannten. Horst Gläsker entwirft z.B. in einer früheren Arbeit eine kosmische Gegenwelt zur Enge einer 8 qm großen Gefängniszelle oder lässt einen farbigen Wortteppich auf der Wuppertaler Treppe im Ortsteil Ostersbaum entstehen, der die graue Häuserschlucht wie ein Hoffnungsband durchteilt.

Horst Gläsker schafft Bilderwelten, die er mit dem Treiben von bizarr konturierten Centauren, Sirenen, Greifen und anderen grotesken Mischwesen aus der antiken und seiner individuellen Mythologíe bevölkert. Große Aufträge und Projekte im öffentlichen Raum geben ihm die Möglichkeit, ganze Gebäudefassaden, Plätze und Innenräume wie eine grenzenlose Leinwand in Besitz zu nehmen.
Harald Fuchs konfrontiert uns mit einer Welt, einer Gegenwelt von Natur – Ästhetik und Wissenschafts – Ästhetik und simuliert Wahrheits- und Wahrscheinlichkeitsmodelle, die er vor allem aus der Naturwissenschaft, aber auch von der Psychologie ableitet. Er zieht uns hinein in eine Welt, in der wir nicht mehr wissen, ob wir uns in einer wissenschaftlich – archäologischen Sammlung oder in einem „Kunstlaboratorium“ befinden – wir verlieren den Überblick und werden zum fragenden und wohl auch zum zweifelnden Subjekt.
Wenden wir uns nun konkret den Räumen der beiden Künstler zu.

Horst Gläsker zeigt den 1:1 Entwurf seiner Brunnen- und Mosaikarbeit für die Hessische Landesbank in Frankfurt mit dem Titel „Im farbigen Abglanz haben wir das Leben.“ – eine Zeile aus Faust II, die sein Ansatz zur Interpretation wurde, – und hat hier sozusagen seine damalige Ateliersituation in einer eigens angemieteten Industriehalle wieder auferstehen lassen.
Für ihren überdachten Innenhof wollte die Bank 1984 eine künstlerische Auseinandersetzung mit Goethes Faust II. Keine leichte Aufgabe für Horst Gläsker, der bis dahin, er war 36 Jahre, Goethes Faust noch nicht gelesen hatte und auch nicht zu den Menschen gehörte, die sich abends im Lehnstuhl der klassischen kultivierten Lektüre hingeben.
Doch je weiter er in den literarischen Stoff eindrang, den er sich an allen möglichen Orten, in der Straßenbahn, durch die Stadt laufend, im Park liegend, aneignete, erkämpfte, desto vertrauter erschien ihm das Getümmel der von Goethe beschriebenen Walpurgisnacht, fand er eine Nähe und Verwandtschaft zu seinen eigenen mythologischen Kreaturen und zu den Sagen des klassischen Altertums. Schnell wurde ihm klar, dass er weder eine Bebilderung noch eine Illustration von Faust II schaffen durfte, und er formulierte selbstbewusst: „Ich muss einen eigenen Faust schaffen“. So spart er den Titelhelden Faust, den Mephisto, Gretchen, Helena und das komplexe weltliche Personal aus und konzentriert sich auf das zitierte Schlüsselmotiv: „Im farbigen Abglanz haben wir das Leben.“
Manfred Schneckenburger sagt dazu :„Es (dieses Motiv) drückt nicht nur Goethes innerstes Weltverständnis aus: Es setzt den Widerschein der alldurchdringenden, unendlichen Natur bis zur Identifikation mit unserer eigenen, enthusiastischen Wahrnehmung.“

Gläsker nimmt den Abglanz wörtlich und lässt die Sonne, umgeben von einem weißen Ring, von der goldenen Mitte der Leinwand erstrahlen und „die ganze Pracht von Sonne, Licht, Abglanz und Leben überströmt die Wand.“ (vgl. Manfred Schneckenburger)
Ginkgo-Blätter durchfächern als strukturierendes Element die Leinwand und beherbergen Fauna wie Flora, halbgöttliche Hybriden, den Feuervogel Phönix, Zeus als Schwan, Sirenen, den Greif, aber auch den Homunculus bis hin zum Auge Gottes.
Ein breit angelegtes Bilderprogramm entführt uns in die ganz eigene Welt des Künstlers, und hier kann ich Ihnen nur empfehlen, mit Horst Gläsker ins Gespräch zu kommen und seinen faszinierenden Ausführungen zu folgen.
Noch einmal kurz zu dem zurückgekehrt, was wir hier sehen:
Das kleine 1:10 Modell visualisiert sozusagen die Ursprungsidee, dann folgte die Übertragung auf die Leinwand – 1:1 zum späteren Mosaik, auch die kleine Wasseranlage entspricht in ihren Ausmaßen der späteren Installation. Ein kleines 1:1 Mosaik – Probestück eines Details haben Sie im Eingangsbereich bereits gesehen. Hier wird deutlich, dass das Mosaik die Malerei außerordentlich verändert und in diesem Fall deutlich übertrifft.
Wer Gläsker kennt, weiß, dass er nichts dem Zufall überlässt und ein Perfektionist ist, und so reiste er selber in die Toskana, eignete sich die Mosaiktechnik an und suchte beim Großhändler in Venedig aus einem riesigen Sortiment ca. eine Million Steinchen in Tausenden von Tönen und Zwischentönen heraus. 4 Jahre dauerte die Ausführung und war eine große Herausforderung nicht nur für den Künstler auch für den Mosaisten und die Bank. Umlaufend an den Wänden sehen Sie den Inhalt einer limitierten Grafikmappe mit der Gesamtansicht und Details der Wand- und Brunnenmosaike, – 18 Kunstdrucke, Fineart-Druck auf Büttenpapier.
Ausgangspunkt für das „Himmelgewässer“, die Wasseranlage, war, wie Gläsker es formuliert „eine Pfütze, so wie sie auf Wegen, nach warmem Sommerregen, in Wagenspuren zurückbleibt. Am Rande dieser Pfütze kniest du nieder und entdeckst, dass es ein Loch im Erdboden ist, und da drinnen ist der Himmel mit all seinen Wolkenlandschaften und seiner Unendlichkeit. Die Sonne gibt dem Himmelsgebirge Plastizität und Fülle, und die Spiegelung im Wasser seine unergründliche Tiefe, – Himmelgewässer.- Du schwebst hinein. Thales und Nereus, Doriden, Nereiden und Hippokampen tauchen auf und fliegen unter; bis Poseidon mit seinem Dreizack wieder für Ruhe sorgt. Und die tiefstehende Sonne scheint wie Feuer im himmlischen Gewässer zu brodeln.“

Harald Fuchs hat im zweiten Raum eine Gegenwelt ganz anderer Art geschaffen. Unter dem Titel „Living Materials – Ruanda“ also „lebendes Material“ zeigt er eine Licht- und Soundinstallation.
Seit 1981 hat Fuchs zahlreiche ethnologische Forschungsreisen nach Ost- und Westafrika und nach Mittelamerika unternommen. Er ist ein ausgezeichneter „Kenner der kulturellen und gesellschaftlichen Umbrüche dieser Kontinente und lässt seine Reiseerfahrungen und Beobachtungen der soziokulturellen und politischen Veränderungen in seine künstlerischen Reflexionen einfließen. Dabei distanziert er sich von dokumentarischen Ansätzen oder direkter politischer Stellungnahme.“ (so Thomas Appel)
Im Jahr 2009 besuchte Harald Fuchs die Gedenkstätte Ntarama in Kigali (Ruanda) eine ehemalige Kirche, in der über 5000 Tutsi, Männer, Frauen, Kinder während des Genozids im Jahre 1994 ermordet wurden. Zum Gedenken an dieses Massaker wurden die Kleidungsstücke der Ermordeten an die Wände und in das Gebälk des christlichen Gotteshauses – eines inoffiziellen Memorials – gehängt. Bei seiner Besichtigung dieses kargen und deprimierenden Raumes entdeckte er die heruntergefallenen Fasern aus den morbiden Kleidungsstücken auf den Holzbänken, sammelte eine Handvoll auf und nahm sie mit.

Diese halbzerfallenen Originalfasern klebte er einzeln in 300 Diarahmen und projiziert sie mittels Diaprojektoren und in einem 5-Sekunden Rhythmus auf semitransparente Projektionsleinwände. Der abgedunkelte Raum, die extreme Vergrößerung der Textilfasern und die aufgestellten Spiegelfolien schaffen eine Atmosphäre der Irritation, eine Verunsicherung und Desorientierung im Raum, nur strukturiert durch das unterschiedliche Klackern der Diaprojektoren, fast wie ein mechanisch-maschinelles Ein- und Ausatmen.
Die Textilfasern wirken auf den ersten Blick wie abstrakte grafische Arbeiten unterschiedlichster Art, sie entfalten zum Teil eine große ästhetische Attraktivität, könnten aber auch mikroskopische Untersuchungen von Flora und Fauna oder aus einem Forschungslabor entliehene Aufnahmen von Keimen und genetischen Veränderungen sein.
Die extreme Vergrößerung dieser Kleinstteile auf ein menschengroßes Maß hebt jede Distanz auf und rückt sie sehr nah an den Betrachter heran, sie werden fassbar und erfahrbar. Es entsteht ein intensives Spannungsfeld zwischen Auflösung, Greifbarkeit und auch Archivierung.
Durch die transparenten Projektionsleinwände wird der Betrachter mit seinem eigenen Schattenriss je nach Standort selber Teil der Installation, überlagert die Projektion und verbindet sich mit dem Dargestellten im unendlichen Raum. Man weiß nicht genau, ob man nicht selber Teil eines wissenschaftlichen Experiments geworden ist.
Die einzige Annäherung an die konkrete Darstellung dieses Gedenkraumes ist ein etwas versteckter Digitalprint auf semitransparenter Folie, dem eintretenden Betrachter nicht sofort sichtbar, mit collagierten Versatzstücken der realen Aufhängung der Kleidungsstücke. Er wirkt geisterhaft beschwörend und auch verunklärend wie der Übergang von der Welt der Lebenden in die der Toten.
Überlagert werden die mechanischen Geräusches von zuerst weit entfernten Fahrgeräuschen. Ein 15 minütigen Videofilm zeigt, – von Harald Fuchs aus dem fahrenden Auto gefilmt -, die Durchquerung von Ruandas Hauptstadt Kigali mit Verkehrsstraßen, Hochhäusern, Vorstadtvierteln mit metallenen Abzäunungen, vorbei an sich bewegenden Menschenmengen. Typische Stadtgeräusche, Autos, Motorräder, Hupen, aber keine menschlichen Stimmen lassen sich identifizieren. Es wird eine Art alltäglicher Realität gezeigt.
Die Fahrt führt immer mehr aus der Stadt ins Ländliche, wir nähern uns der Gedenkstätte ohne sie jemals konkret zu sehen. Plötzlich taucht eine kurze verschwommene Sequenz aus einem damaligen TV – Beitrag auf, in dem reale Aufnahmen des damaligen Massakers zu sehen sind, aber auch sie fließen vorbei, bleiben aber trotz der Unschärfe in ihrer Dramatik haften. Einen ambivalenten Eindruck hinterlässt der kurz auftauchende Holzschnitt von Albrecht Dürer „Kain erschlägt Abel“. Hier wird deutlich Bezug genommen zu Brudermord, Unterdrückung und Gewalt. Sie sind – wie wir wissen – kein Monopol des Mittelalters geblieben.
Harald Fuchs gibt keine direkten Antworten, er stellt uns Material zu Verfügung, aus dem wir unsere eigenen Schlußfolgerungen ziehen müssen.

GEGENWELTEN
Noch einmal zum Titel.
Wieso Gegenwelten?
Beide Künstler zeigen uns Facetten unserer Welt.
Horst Gläsker betritt den mystischen Weltenraum, – mit Wesen, die noch immer allgegenwärtig zu sein scheinen, die durch die Naturwissenschaften widerlegt sind, aber immer noch durch unsere Köpfe geistern.
Harald Fuchs bringt uns eine Welt nahe, die mit unserer westlichen Alltagswelt nichts zu tun hat, eine, so danken wir Gott, weit entfernte Welt mit Gesetzmäßigkeiten oder Gesetzlosigkeiten, mit denen wir nichts zu tun haben (so glauben wir jedenfalls) und nichts zu tun haben wollen.
Andere Realitäten, andere Welten, Gegenwelten.
Was ist die wahre Welt?

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